Methoden

Mein prinzipielles Methodenverständnis
und eine Übersicht über die
Methoden, die ich bei meiner Arbeit nutze
Wenn, dann ...
Systemischer ist es, davon auszugehen,
dass oft viele Wege zum Ziel führen.
Systemischer ist, dem Prinzip der Viabilität zu folgen.

Steve de Shazer:
"Wenn etwas nicht funktioniert, mach etwas anderes und
wenn etwas funktioniert, mach mehr davon!"
Behandlungsmanuale und Wenn-Dann-Vorschriften können bewirken, dass es Augen gibt, auf denen man blind ist.

 Heinz von Foerster:
     "Wir sehen nur, was wir sehen.
      Wir sehen nicht, was wir nicht sehen."
Behandlungsbegriff und Wenn-Dann-Vorgehen
   - Grundsätzliche Überlegungen -
Symptom - Diagnose - Intervention - Evaluation,
das sind die Schritte, nach denen im Denkmuster des sogen. Medizinischen Modells (biomedizinisches Modell) Krankheiten kausal (wenn-dann) behandelt werden. Die Behandlung erfolgt unter der An­nahme ei­nes einfa­chen Ur­sache-Wirkungs-Mo­dells auf rein kör­per­licher Ebene.
So erfolgreich und dominant dieses Modell im medizinischen Bereich oft ist, so deutlich hat man aber - nicht nur im Umgang mit psychischen 'Erkrankungen' - auch erkannt, dass es oft zu kurz greift.
Ende der 70er Jahre hat dann George L. Engel, ein anerkannter amerikanischer Medizintheoretiker, den Begriff
Bio-Psycho-Soziales Krankheitsmodell (BPS) geprägt.
Demnach sind biologische, psychologische und soziale Faktoren in ihren komplexen Wechselwirkungen bei der Entstehung und Aufrechterhaltung von Krankheiten zu berücksichtigen.
Die Dichotomie des Körper-Seele-Dualismus wird dabei überwunden, psycho-somatische Aspekte werden relevant und Interventionen vielschichtiger.
Wen dieses spannende "Paradigma im Werden" näher interessiert, kann sich hier einen Übersichtsartikel von
Helmut Pauls downloaden, den er in 'resonanzen' veröffentlicht hat.
Alle Beiträge dieses kostenlosen E-Journals finden Sie hier:
Auf der Seite 'Theorie' werden die systemischen Hintergründe meiner Skepsis im Hinblick auf den Begriff 'Behandlung'
und bezüglich des linear-kausalen Interventionsmodells genauer erklärt.
Der Versuch einer 'Wenn-Dann-Behandlung' greift im Umgang mit komplexen psycho-sozialen Systemen zu kurz. Gerade dann, wenn höchst instabile Zustände vorliegen, lässt sich die Wirkung von Interventionen im Einzelfall kaum noch prognostizieren. Das verlangt vom Therapeuten eine hohe Flexibilität im Hinblick auf sein Vorgehen und die Bereitschaft, zu erkunden, was in diesem Fall und in dieser Situation hilfreich sein könnte.
Systemiker sprechen diesbezüglich gerne vom Prinzip der Viabilität (Steve de Shazer: Mach das, was funktioniert!). Die Wirkung von therapeutischen Interventionen 'bestimmen' immer die Klienten, die auf ihre individuelle Art und Weise im Hier und Jetzt reagieren.
Diese 'Unberechenbarkeit' - gerade dann, wenn hohe Instabilität vorliegt - demonstriert der Physiker Hans-Peter Dürr mit Hilfe des sogen. Tripendulums. Am Eingang zu meinem Praxisraum steht ein solches Tripendel, an dem sich meine Klient*innen spielerisch die "Unberechenbarkeit des Lebendigen" veranschaulichen können.
  • Ulrich Hausa: Das Tripendel - Ein Gleichnis für die Unberechenbarkeit des Lebendigen

    Das Tripelpendel - Ein Gleichnis für die Unberechenbarkeit des Lebendigen

    von Ulrich Hausa


    Link zur Quelle mit Downloadmöglichkeit


    "Naturwissenschaftliche Erkenntnis und Wirklichkeitserfahrung: Was können wir wirklich wissen?" Unter diesem Titel fand am 20.09.1999 am ISS ein Kolloquium statt, welches m.E. zu den aufregendsten gehörte, die ich miterlebt habe.


    Das lag zunächst am Referenten selbst: Prof. Dr. Hans-Peter Dürr, Kernphysiker, Elementarteilchenkenner, einstiger wissenschaftlicher Mitarbeiter Werner Heisenbergs, jener historischen Größe der Welt der Physik, die wir mit dem Begriff der "Unschärferelation" in Verbindung bringen. Prof. Dürr, ehemaliger Direktor des Max-Planck.Instituts für Physik und Astrophysik war also ein naturwissenschaftlich hochkarätig ausgewiesener Gast, der aber auch über andere gesellschaftlich relevante Fragen publiziert hat, etwas über die Verantwortung des Wissenschaftlers, über Abrüstung und Friedenssicherung, Energie, Ökologie und Ökonomie, Entwicklung und Gerechtigkeit. Darüber hinaus war er ausgewiesen als Träger vieler Ehrungen, u.a. des "Right Livelihood Award 1987", eine Auszeichnung, die auch als "Alternativer Nobelpreis" bekannt ist.


    War also schon mit der Person des Referenten eine große Neugierde verbunden, so war es darüber hinaus das Thema selbst, welches viele Erwartungen weckte, die m.E. durch diese Veranstaltung hervorragend bedient wurden.


    Sie hat zudem, wie regelmäßige Besucher der Räume des ISS bestätigen werden, eine bleibende Spur hinterlassen: das Tripelpendel! Eine mobile Skulptur, von der eine große Faszination auszugehen scheint, folge ich der Beobachtung, wie häufig sie von Gästen, Weiterbildungsteilnehmern und Mitarbeitern des ISS in Bewegung gesetzt wird.


    Wenn ich hier nun den notwendigerweise bescheidenen Versuch mache, einige Erkenntnisse des Kolloquiums mit Prof. Dürr zu vermitteln, so soll das Tripelpendel im Mittelpunkt stehen, stellt es doch einen beeindruckenden Versuch dar, das moderne Weltbild der Physik zu visualisieren, ein sinnliches Erlebnis damit zu verknüpfen, speziell im Hinblick auf die prinzipielle Unberechenbarkeit des Lebendigen. Und das ist es ja wohl, mit dem wir - im psychosozialen Phänomenbereich Tätige - täglich konfrontiert sind.


    Die klassischen Naturwissenschaften, so Prof. Dürr, lehren uns, dass der Natur eingeprägte Bewegungsgesetze bei Kenntnis der Ausgangssituation eines Systems uns erlauben, seine zukünftige zeitliche Entwicklung zu errechnen. Die Himmelsmechanik gibt uns dafür ein eindrucksvolles Beispiel:


    So führen die Newtonschen Bewegungsgesetze materieller Körper aufgrund des Gravitationsgesetzes, das die anziehende Kraftwirkung zweier Massen aufeinander beschreibt, zu einer eindeutigen Bestimmung der Bahn der Erde um die Sonne, nämlich einer Keplerschen Ellipsenbahn, in deren einem Brennpunkt die Sonne steht. Die sprichwörtliche Gewissheit, mit der wir jeden Morgen präzise mit dem Aufgang der Sonne glauben rechnen zu können, ist für uns paradigmatisch für die zwingende Notwendigkeit naturgesetzlicher und damit errechenbarer Bewegungsabläufe. Sie haben unser abendländisches Denken tiefgreifend beeinflusst und unsere westliche Zivilisation entscheidend geprägt, bis hin zu den mathematischen Fundamenten unseres Wissens.


    Die Mathematiker sind berüchtigt dafür, es ganz genau zu nehmen und einen unumstößlichen Beweis zu verlangen, bevor sie eine Aussage als wahr anerkennen. Eine Anekdote bringt dies auf den Punkt:


    Ein Astronom, ein Physiker und ein Mathematiker machten einst Ferien in Schottland. Vom Zugfenster aus sahen sie inmitten einer Wiese ein schwarzes Schaf stehen. "Wie interessant", bemerkte der Astronom, "alle schottischen Schafe sind schwarz!" Darauf antwortete der Physiker: "Nein, nein! Einige schottische Schafe sind schwarz!" Der Mathematiker rollte seine Augen flehentlich gen Himmel und verkündete dann: "In Schottland gibt es mindestens eine Wiese mit mindestens einem Schaf, das mindestens auf einer Seite schwarz ist."


    Diese prinzipielle Möglichkeit einer Vorhersage zukünftigen Geschehens auf der Basis einer vorgegebenen Ausgangssituation hat, trotz obiger Verfremdung, nichts von ihrem Reiz, d.h. von ihrer praktischen Relevanz verloren. Mit ihr, so Prof. Dürr, bietet sich nämlich die Chance durch ein geeignetes Arrangement von Teilen eines Systems und ihren kräftemäßigen Verknüpfungen hier und jetzt, dem System einen ganz bestimmten, von uns erwünschten Bewegungsablauf in Raum und Zeit aufzuzwingen. Dies scheint dem Menschen die Möglichkeit zu eröffnen, sich von den Zwängen der Natur weitgehend zu befreien und letztendlich diese durch Technik "in den Griff" zu bekommen. Die Entwicklungen der Gentechnologie sind nur ein jüngstes Beispiel für diesen "Zugriff" auf die Welt des Lebendigen und stützen jene, in weiten Teilen der Gesellschaft ungebrochene Überzeugung, dass aufgrund menschlicher Phantasie letztlich alles machbar sei.


    Diese scheinbar so harmlose Forderung einer exakten Kenntnis der Naturgesetze, so Prof. Dürr, erwies sich jedoch in der Folge zur großen Überraschung der Naturwissenschaftler als prinzipiell unerfüllbar. Ausgerechnet die Mathematiker mit ihren streng logischen Prinzipien der Wahrheitsfindung trugen mit zu dieser Desillusionierung bei.


    Es war im Jahre 1902 der englische Logiker Bertrand Russell, der eine verheerende Entdeckung machte: das Paradoxon! Seine Arbeit fügte dem Traum von einem mathematischen System ohne Zweifel und Widersprüche unermesslichen Schaden zu. Viele Wissenschaftler stellten Russells Arbeit in Frage und behaupteten, die Mathematik sei ein offensichtlich erfolgreiches und fehlerfreies Unternehmen. In seiner Antwort darauf erläuterte der spätere Nobelpreisträger die Bedeutung seiner Arbeit:


    "Nun", können Sie sagen, "nichts davon erschüttert meine Überzeugung, dass 2 und 2 zusammen 4 ergibt". Da haben Sie völlig recht, außer in Grenzfällen - und nur in Grenzfällen zweifeln Sie daran, ob ein bestimmtes Tier ein Hund ist oder eine bestimmte Länge weniger als ein Meter ist. Zwei müssen zwei von etwas sein, und die Aussage "2 und 2 ergibt 4" ist nutzlos, wenn sie nicht angewandt wird. Zwei Hunde und zwei Hunde sind gewiss vier Hunde, doch es gibt Fälle, in denen Sie zweifeln, ob zwei davon Hunde sind. " Nun, jedenfalls handelt es sich um Tiere", könnten Sie sagen. Doch es gibt Mikroorganismen, bei denen es zweifelhaft ist, ob sie Tiere oder Pflanzen sind. "Gut, dann lebende Organismen", könnten Sie sagen. Doch es gibt Dinge, bei denen in Frage steht, ob sie leben oder nicht. Sie werden dann unweigerlich sagen: "Zwei Entitäten und zwei Entitäten sind vier Entitäten." Wenn Sie mir erklären, was Sie mit "Entität" meinen, können wir die Diskussion fortsetzen.


    Zu allem Überfluss kam 1931 der damals unbekannte, fünfundzwanzigjährige Mathematiker Kurt Gödel mit einer Erkenntnis über die "Unentscheidbarkeit" daher, welche bewies, dass der Versuch, ein vollständiges und widerspruchsfreies mathematisches System zu errichten, für immer zum Scheitern verurteilt sei.


    Gödels Arbeiten hatten viele Züge mit ähnlichen Entdeckungen in der Quantenphysik gemein. Nur vier Jahre bevor Gödel seinen Artikel zur Unentscheidbarkeit veröffentlichte, entdeckte der Physiker Werner Heisenberg die schon erwähnte Unschärferelation. Wie es in der Mathematik eine bestimmte Grenze für die Beweisbarkeit von Sätzen gibt, gibt es auch in der Physik eine bestimmte Grenze für die Messbarkeit bestimmter Eigenschaften. Wollen die Physiker zum Beispiel die genaue Position eines Gegenstandes bestimmen, können sie dessen Geschwindigkeit nur mit relativ geringer Genauigkeit bestimmen. Um nämlich die Position des Gegenstandes zu messen, müsste man ihn mit Lichtphotonen beleuchten, und um seine Position exakt zu bestimmen, müssten die Photonen mit hoher Energie versehen sein. Wird der Gegenstand allerdings mit solchen Photonen beschossen, ändert sich seine Geschwindigkeit und wird an und für sich unbestimmbar. Würden die Physiker die Position eines Gegenstandes bestimmen wollen, müssten sie ihr Wissen um seine Geschwindigkeit daher zum Teil aufgeben.


    Heisenbergs Unschärferelation kommt nur in atomaren Dimensionen zur Geltung, dort, wo die Hochpräzisionsmessungen entscheidend sind. Für die von uns direkt wahrgenommene Welt, so Prof. Dürr, ergab sich jedoch eine ähnliche Konsequenz viel unmittelbarer durch die Entdeckung des "chaotischen" Verhaltens von non-trivialen Systemen i.S. Heinz von Foersters. Bei diesen lässt sich die Eigentümlichkeit beobachten, dass kleine Änderungen in der Ausgangssituation dieser Systeme im Allgemeinen nicht zu entsprechend kleinen Abweichungen in der vorhergesagten Endkonfiguration führen, sondern dass radikal andere Endzustände auftreten. Dieses unerwartete Verhalten stellt eher die Regel als die Ausnahme dar. Dies führt z.B. dazu, dass wenn das uns wohlbekannte System Sonne-Erde durch einen dritten Körper, etwa den Mond, ergänzt wird, eine Situation auftritt, die streng genommen nicht mehr berechenbar ist. Dieses klassische "Drei-Körper-Problem" ist nach den Untersuchungen von 1889 durch den französischen Universalgelehrten Henri Poincaré‚ - in Beantwortung einer Preisfrage der schwedischen Akademie der Wissenschaften - nicht mehr mathematisch lösbar. Das bedeutet offenkundig aber nicht, dass es zu einer Destabilisierung der Erdumlaufbahn kommt. Es scheint bestimmte Konfigurationen des "Drei-KörperSystems" zu geben (wenn man gläubig ist, könnte man bei dieser Einsicht "Gott sei Dank!“ ausrufen), die sich leidlich stabil zeigen; immerhin bewegt sich die Erde seit viereinhalb Milliarden Jahren auf die nämliche Weise. Diese Erkenntnis bedeutet aber wiederum nicht die Gewissheit auf Stabilität für alle Zeit. Wir dürfen lediglich hoffen!


    Um diese prinzipielle Unberechenbarkeit nun anschaulich, sinnlich nachvollziehbar zu machen, verbietet es sich natürlich, mit dem Sonnensystem zu spielen. Um dennoch zu spielen, gibt es ein einfaches mechanisches System, das man sich zu Hause oder im ISS auf den Tisch stellen kann: Das physikalische Doppelpendel!


    Ein Doppelpendel ist ein Pendel an einem Pendel, das durch seine Aufhängung und das Schwerefeld mit der Erde kräftemäßig verbunden ist. Im Gegensatz zum Sonne-Erde-MondDrei-Körper-System läuft das Doppelpendel allerdings nicht reibungslos, weshalb es nach einiger Zeit allein zum Stillstand kommt. Diesem Mangel kann man etwas abhelfen, wenn man das Doppelpendel nochmals an einem größeren dritten Pendel aufhängt, wodurch dem Doppelpendel eine Zeit lang noch zusätzliche Bewegungsenergie zugeführt wird und damit seine Reibungsverluste etwas kompensiert werden. Das so entstandene Tripelpendel ist also eine Analogie zu einem Vier-Körper-System, etwas Sonne-Erde-Mond-Venus.


    Wie alle, die es schon mal ausprobiert haben (und allein dafür lohnt es sich, dem ISS mal wieder einen Besuch abzustatten), bestätigen werden, ist das genügend stark angeworfene Tripelpendel ein eindrucksvolles Beispiel für einen unberechenbaren, "chaotischen" Bewegungsablauf. Aufgrund der Reibung in den Drehlagern und der Pendelarme mit der Luft zeigt sich unser Objekt des Interesses, die "Unberechenbarkeit" nämlich, natürlich nur in Zwischenzeiten. Letztlich kommt das Tripelpendel auch bei stärkster Auslenkung immer in der unteren, einzig stabilen Lage zur Ruhe.


    Das chaotische Bewegungsverhalten des Tripelpendels, so erklärt nun Prof. Dürr, ist einsichtig. Es hat mit der "Nichtlinearität" der Kräfte beim "Physikalischen Pendel" zu tun. Anders als bei den sogenannten "streng harmonischen" Schwingungen (etwa eine Masse an einer Spiralfeder), wächst beim physikalischen Pendel die rücktreibende Kraft proportional zum Sinus des Auslenkungswinkels w. Bei maximalem Ausschlag (Kopfstand des Pendels) verschwindet folglich dort die rücktreibende Kraft, so dass man schließen kann, ein physikalisches Pendel hat zwei Gleichgewichtslagen: Ruhestellung (=stabil) und Kopfstand (=instabil). Es sind solche Instabilitätspunkte, welche zu einem chaotischen Bewegungsverhalten führen. An solchen Punkten ist eine Prognose für ein zukünftiges Verhalten unmöglich zu treffen. Beliebig kleine Veränderungen der Anfangslage führen zu höchst unterschiedlichen Bewegungsabläufen. Das Tripelpendel durchläuft immer wieder verschiedene Instabilitätspunkte und ist damit Bifurkationen ausgesetzt, die beim theoretisch reibungslosen Fall unendlich oft durchlaufen würden und zur Unberechenbarkeit seines Bewegungsablaufes führten.


    An diesen Instabilitätspunkten wird nun augenfällig deutlich, dass sich kein System vom Rest der Welt (also auch vom beobachtenden Experimentator) und seinen verschiedenen Einflüssen trennen lässt.


    Mit einem einfachen Experiment wird somit der ganzheitliche Charakter des Geschehens visualisiert: Alles hängt mit allem zusammen! Das Tripelpendel verschafft einen Einblick in das tiefere Gefüge unserer Welt.


    Wegen der unvermeidbaren Reibungsverluste - oder, wie Prof. Dürr allgemeiner formuliert, des stetigen Anwachsens der Entropie - kann das Tripelpendel nur vorübergehend in der chaotischen Bewegungsphase gehalten werden. Wollte man die Offenheit der Bewegung über längere Zeit aufrecht erhalten, müsste man dem System dauernd Energie (=negative Entropie oder Syntropie) zuführen, wodurch es am Rückfall in den stabilen Gleichgewichtszustand gehindert würde. Solche syntropiegefütterten offenen Systeme spielen in der Natur eine wichtige Rolle: Sie sind die Grundlage des Phänomens des Lebendigen!


    Das Tripelpendel darf also als Symbol für die Offenheit zukünftigen Geschehens gelten, ähnlich wie wir im psychosozialen Phänomenbereich Tätigen es durch die uns aufsuchenden Menschen täglich erfahren. Deren Lebendigkeit ist demnach nicht einfach Ausdruck einer hochkomplizierten Struktur, deren prinzipielle Einfachheit für uns nur noch nicht durchschaubar ist (s. auch Luhmanns Konzept der Kontingenz). Lebendigkeit, so Prof. Dürr, ist vielmehr gleichbedeutend mit Unberechenbarkeit, was wiederum nicht Willkürlichkeit bedeutet. Das Auftreten bestimmter Muster in verkoppelten chaotischen Systemen spricht dagegen.


    Das Tripelpendel kann aber in seinem Bewegungsverhalten völlig berechenbar werden; und zwar dann, wenn wir ihm seine Freiheitsgrade rauben (z. B. Arretierung der Unterpendel mit dem Hauptpendel). Es wird auch berechenbar, wenn wir ihm nicht die nötige Mindestenergie zukommen lassen; wir hindern es somit an seiner "lebendigen" Entfaltung, dem Durchlaufen instabiler Bifurkationspunkte nämlich.


    Hier wird, Prof. Dürr folgend, wieder die Analogie zum Lebendigen deutlich: Alle Lebewesen, auch wir Menschen, eingeschlossen die menschliche Gesellschaft, sind als Systeme beschreibbar, welche weit weg vom stabilen (thermodynamischen) Gleichgewichtszustand operieren. Für deren Offenheit und strukturelle Plastizität wählt Prof. Dürr das Tripelpendel als Gleichnis.


  • Kurt Ludewig: Das Therpeutendilemma

    Die Ausgangslage: Das Therapeutendilemma


    Psychotherapeuten sind in ihrer beruflichen Tätigkeit mit einem paradoxen Auftrag konfrontiert: „Handle wirksam, ohne je im voraus zu wissen, wie, und ohne zu wissen, was dein Handeln auslösen wird!" Diese Situation, die für alle Formen der Intervention in psychische und soziale Systeme gilt, nenne ich das Therapeutendilemma.


    Psychotherapeuten wissen zwar im allgemeinen, daß sie nicht in der Lage sind, menschliche Prozesse exakt zu diagnostizieren und gezielt zu bestimmen oder vorherzusagen, dennoch wird immer wieder versucht, diese Einschränkungen zu übergehen und die Psychotherapie doch zu einer normativen Wissenschaft umzugestalten. Angesichts dieser Wunschlage verwundert es nicht, daß das Dilemma als „Störvariable" bewertet und daher ignoriert wird. Demgegenüber nimmt sich systemische Therapie dieses Dilemmas an und macht es zum Ausgangspunkt aller Überlegungen. Aus systemischer Perspektive erwächst das Therapeutendilemma aus der unumgehbaren Eigenart psychischer und sozialer Systeme, nämlich aus ihrer Undurchschaubarkeit,


    Nicht-Instruierbarkeit und Selbstreferentialität. Psychische und soziale Systeme können betrachtet werden als prinzipiell undurchschaubar, also nicht exakt diagnostizierbar, als nicht-instruierbar, also nicht von außen gezielt steuerbar, und als selbstreferentiell, also nicht vohersagbar. Wir müssen folglich auf exaktes Diagnostizieren, kausales Intervenieren und Vorhersagen verzichten. Anstelle einer „objektiven" Indikationsstellung muß die subjektive Problemdefinition des Hilfesuchenden akzeptiert werden; anstelle von kausalen Interventionen müssen möglichst „passende" Interventionen gewählt werden; anstelle von gezielten Kommunikationsstrategien mit verändernder Absicht muß darauf vertraut werden, daß therapeutische Dialoge förderlich und heilsam sein können. Mit anderen Worten: Systemische Konzepte zielen nicht auf die kausale Veränderung des Erlebens oder Verhaltens von Klienten, sondern vielmehr auf die Mitgestaltung einer Kommunikation, die günstige (Rand-)Bedingungen für die Klienten schafft, sich gemäß ihren Wünschen und Möglichkeiten zu verändern.

    ...

    Das Dilemma 

    Helfer und Helferin handeln im Auftrag ihrer Gesellschaft und ihrer Kunden und sollen kausal und effizient wirken. Vermutlich alle, zumindest aber die systemischen Therapeuten, wissen jedoch um die Unmöglichkeit, menschliche Prozesse gezielt zu bestimmen und vorherzusagen. 


    In einer Paraphrasierung eines Satzes, den Humberto Maturana bei seinen Workshops gern verwendet: 

    "Ich bin ganz verantwortlich für das, was ich sage jedoch nicht für das, was Sie hören." läßt sich für den psycho-sozialen Helfer sagen, daß er als Professioneller für sein Handeln grundsätzlich verantwortlich ist, nicht jedoch für die Art und Weise, wie der Klient seine Intervention versteht und umsetzt.

     Menschen und soziale Systeme sind nach systemischer Auffassung weder durchschaubar oder instruierbar noch vorhersagbar. Eine auftragsgerechte Erfüllung der gesellschaftlichen. Erwartung, als professioneller Helfer kausal und effizient zu handeln, ist somit als intentionale Handlung ausgeschlossen. Die Intervention in psychische und soziale Systeme bleibt uneinschätzbar, zumal jede Veränderung dieser Systeme ohnehin vom System selbst erbracht wird. Interventionen in diese Systeme können nicht mehr als eine Anregung sein, die eigenen Zustände zu verändern. Ob aber diese Anregung (Verstörung, Perturbation, Irritation ) tatsächlich die Systemzustände irritiert und eventuell eine Veränderung des Systems auslöst, hängt von den Möglichkeiten und dem aktuellen Zustand des Systems zum Zeitpunkt der Anregung ab. Dem Helfer bleibt angesichts dieses Dilemmas nichts anderes übrig., als darauf zu vertrauen, daß kooperativ geführte Dialoge förderlich und heilsam sein können. Die Methoden einer Therapie und die vom Therapeuten geforderte Expertise müssen deshalb auf die Durchführung hilfreicher Dialoge eingestellt werden. Hier dienen als Orientierung unspezifische Empfehlungen oder I.eitsätze, die im Einklang mit systemischen Kriterien erarbeitet wurden, eigenrlich aber auf dem althergebrachten Wissen über menschliche Interaktionen beruhen. D ie Orientierung an diesen Leitsätzen soll helfen, den therapeutischen Dialog nützlich, schön und respektvoll zu halten, insofern auch Macht-ansprüche, Eigenwilligkeit und Mißachtung zu vermeiden.

    in: Ludewig, Kurt - Leitmotive systemischer Therapie (2002), 38-39; 166-167)

In der Menuleiste unten finden Sie Links zu Informationen über die verschiedenen Methoden und Verfahren, die ich variabel und flexibel bei meiner Arbeit nutze. Es ist eben nicht immer nur ein Schlüssel der passt und nicht in jedem Fall nur ein spezieller Ansatz der Richtige. Es bedarf einer großen Flexibilität auf Seiten von systemischen Professionellen und vielleicht auch eines 'dicken Fells', wenn ihnen deshalb abwertend eine prinzipienlose Beliebigkeit (Eklektizismus) vorgeworfen wird. So gibt es z.B. eine eigene Adhärenzforschung, in der durch methodenspezifische Test auf sogen. Adhärenzskalen die 'Manualtreue' der Therapeutin / desTherapeuten bewertet wird.
Individuell muss in jeder therapeutisch-beraterischen Begegnung der zur Person passende methodische Schlüssel gesucht werden.
Dabei helfen oft Intuition und Bauchgefühl. Zudem ist das Offenkundige des präsentierten 'Problems' häufig nicht das wirklich wichtige Thema. Meiner Erfahrung nach gibt es fast immer ein Thema unter/hinter dem Thema.

Interessant ist, dass die Psychotherapieforschung deutlich gezeigt hat, dass für einen hilfreichen therapeutischen Prozess die jeweils verwendeten Methoden nur eine sehr untergeordnete Rolle spielen. Viel, viel wichtiger sind die menschliche Qualität der therapeutischen Beziehung, das Vertrauen und Zutrauen von Klient*innen.
  • Therapie und Kochen - oder: vom Umgang mit Methoden und Rezepten

    Der Psychiater und Schriftsteller Irvin Yalom erzählt am Beginn seines Buches 'Existentielle Psychotherapie' wie er vor vielen Jahren mit einigen Freunden an einem Kochkurs bei einer armenischen Matrone und ihrem betagten Diener teilgenommen hat. Da die Matrone kein Englisch sprach beobachteten Yalom und seine Freunde die Köchin sehr genau dabei, wie sie wunderbare Auberginen- und Lammgerichte zubereitete.


    Doch so genau sie auch beobachteten und nachahmten, ihr Ergebnis war nie so gut wie das der Köchin. Was machte diese nur anders? Eines Tages aber beobachtete Yalom, dass die Matrone fast unbemerkt ihr fertiges Gericht dem Diener übergab, damit er es zum Ofen trug und wie dieser ohne zu zögern eine Handvoll ausgewählter Gewürze und Zutaten nach der anderen hineinwarf. Yalom schreibt, dass er fest davon überzeugt ist, dass diese heimlichen Zugaben den ganzen Unterschied ausmachten.


    Das gilt nicht nur für den psychotherapeutischen Bereich, sondern für alle Bereiche Systemischer Praxis.

    Yalom ist sich sicher, "dass der Therapeut das 'Eigentliche' hineinwirft, wenn niemand zuschaut". Meine Vermutung ist, dass auch systemische Therapeut*innen, Berater*innen, Supervisor*innen und Coaches mit ihren persönlichen "Zugaben" die Methoden-Rezepte gelingen lassen, in denen die Zutaten des zum Zeitpunkt der Begegnung mit der/dem Klient*n Not-wendigen nicht automatisch enthalten sind.

    Die Psychotherapieforschung z.B. von Bruce E. Wampold belegt, dass maximal 10 % des Erfolgs von Therapien auf den angewandten methodischen Ansatz zurückgeführt werden kann. Viel wichtiger sind kontextuelle Faktoren, wie die Qualität der persönlichen Beziehung zwischen Klient*innen und Therapeut*innen.


Resonanz in der Systemischen Praxis
- ein Generalschlüssel oder Passepartout

Neben der Relativität der verschiedenen Methoden gibt es meiner Meinung nach aber doch so etwas wie einen Generalschlüssel für hilfreiche Veränderungsprozesse.
Dieser Schlüssel ist die Voraussetzung für jede weitere methodische Intervention, für die der Therapeut dann auch die Erlaubnis des Klienten hat. Diesen Generalschlüssel finde ich am besten im Konzept der Resonanz formuliert:

Der Soziologe Hartmut Rosa hat den wohl umfassendsten Beitrag zu diesem Konzept vorgelegt. Er beschreibt in seinem Buch Resonanz. Eine Soziologie der Weltbeziehung das Beziehungsphänomen der Resonanz und ihre Voraussetzung: die Resonanzfähigkeit des Menschen.


Resonante Beziehungen zwischen Menschen werden als ein 'schwingendes System' verstanden, in dem sich beide Seiten wechselseitig anregen. Jeder gibt und nimmt auf eigene Weise - in der Offenheit und mit großer Wertschätzung für den Anderen und seine Art und Weise. Nur so kann sich Begegnung ereignen, die aber nicht plan- und machbar ist, sondern sich glücklich punktuell und ereignishaft einstellen kann. Wenn dies geschieht, dann werden die elementaren Grundbedürfnisse von Menschen erfüllt und sie beschreiben solche Begegnungs-Ereignisse oft einfach als "schön", "freundschaftlich" oder "liebevoll". Um in der Metapher zu bleiben: Dies ist der Generalschlüssel!
  • Psychotherapie - Die resonante Kunst der Verwaltung der vagen Dinge

    Der Systemtheoretiker Peter Fuchs spricht  von der Psychotherapie als einer resonanten "Kunst der Verwaltung der vagen Dinge", als "Umgang mit 'unkodierten' Problemen". Therapie ist kein zweckgerichtetes, instrumentelles Unternehmen, sondern eine resonante Begegnung, bei der oft erfahrungsbasierte Intuition und Bauchgefühl (Gerd Gigerenzer) hilfreicher beim Erreichen der von Klient*innen gewünschten Ziele sind als manualisierte Therapiekonzepte (Rezepte!).


    Die Offenheit von Systemiker*innen für das Uneindeutig-Unkodierte hinter der anscheinend offenkundigen Symptomatik, die Sensibilität für das Thema unter den vorgetragenen Themen, das könnte einen Unterschied machen, der einen Unterschied macht (Gregory Bateson). 

    Viel wichtiger als die diagnostische Ist-Analyse erscheint dann das lösungsfokussierte, ermutigende Interesse daran, was denn anders ist oder wäre, wenn etwas besser läuft. Insoo Kim Berg und Steve de Shazer gaben immer wieder den 'einfachen' Rat: "Wenn etwas nicht funktioniert, dann mach' etwas anderes und wenn etwas funktioniert, mach mehr davon!" Und: "Wir können wissen, was besser ist, ohne wissen zu müssen, was gut ist."


    Das gilt nicht nur für die Psychotherapie, sondern für alle Felder Systemischer Praxis.

In der folgenden Linkliste finden Sie Informationen zu den verschiedenen Methoden und Instrumenten,
die ich im Rahmen des systemischen Ansatzes bei meiner Arbeit als 'spezifische Schlüssel' verwenden kann,
wenn der Generalschlüssen einen Zugang eröffnet hat, Erlaubnis besteht und sie mir nützlich erscheinen.
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