Die Löwengeschichte

Die Löwengeschichte
     oder: Worüber ich mich für meine Klient_innen freue ...
Die Löwengeschichte ist schon sehr alt und stammt aus dem persischen Raum. Der systemische Hypnotherapeut Bernhard Trenkle hat sie u.a. in einem kleinen Büchlein bekannt gemacht.

Lesen Sie die Geschichte bitte langsam, Satz für Satz - mit Pausen nach jedem Punkt (Augen schließen), so dass innere Bilder entstehen! Nutzen Sie alle Sinneskanäle: Was sehen Sie, was gibt es zu hören, zu spüren, zu riechen und schmecken? Welche Idee, Phantasien, Wünsche, Einsichten ... tauchen in Ihnen auf?



Die Löwengeschichte

Es war einmal ein Löwe, der in einer Wüste lebte, die ständig vom Wind durchweht war. Deshalb war das Wasser in den Wasserlöchern, aus denen er normalerweise trank, niemals ruhig und glatt; der Wind kräuselte die Oberfläche, und nichts spiegelte sich im Wasser.

Eines Tages wanderte der Löwe in einen Wald, wo er jagte und spielte, bis er sich ziemlich müde und durstig fühlte. Auf der Suche nach Wasser kam er zu einem Teich mit dem kühlsten (verlockendsten und angenehmsten) Wasser, das man sich überhaupt vorstellen kann. Löwen können — wie andere wilde Tiere auch — Wasser riechen, und der Geruch dieses Wassers war für ihn wie Ambrosia.

Der Löwe näherte sich dem Teich und streckte seinen Schädel übers Wasser, um zu trinken. Plötzlich sah er jedoch sein eigenes Spiegelbild und dachte, es sei ein anderer Löwe. „Oh je" , sagte er zu sich, „das Wasser gehört wohl einem anderen Löwen, ich sollte vorsichtig sein."
Er zog sich zurück, aber der Durst trieb ihn wieder zum Wasser; und abermals sah er den Kopf eines furchterregenden Löwen, der ihn von der Wasseroberfläche her anstarrte.

Diesesmal hoffte unser Löwe, er könne den „anderen Löwen" verjagen und riß sein Maul auf, um furchterregend zu brüllen. Aber als er gerade seine Zähne fletschte, riß natürlich auch der andere Löwe sein Maul auf, und der gefährliche Anblick erschreckte unseren Löwen.

Und immer wieder zog sich der Löwe zurück und näherte sich dem Teich. Und immer wieder machte er dieselbe Erfahrung. Nachdem einige Zeit vergangen war, wurde er aber so durstig und verzweifelt, daß er zu sich selber sagte: „Löwe hin, Löwe her, ich werde jetzt von diesem Wasser trinken."
Und wahrlich, sobald er sein Gesicht in das Wasser tauchte, war der „andere Löwe" auch schon verschwunden.

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(Aus: Trenkle, Bernhard - Die Löwengeschichte. Heidelberg 1997, 13)
Download der Geschichte
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