Die Blattlaus saß zitternd in der Dunkelheit. Zu Besuch, bei ihr: Noch nie hatte sie sich so geschämt. "Es tut mir leid!", rief sie, als Eichhorn sie schon längst nicht mehr hören konnte. An diesem Nachmittag schrieb sie einen Brief:
"Geehrter Eichhorn, nicht kommen. Bitte, bitte. Blattlaus."
Sie schob den Brief durch ein Loch in der Wand und dachte: Er wird den Brief furchtbar finden und das ist er auch. Ein paar Stunden später kam ein Antwortbrief:
"Liebe Blattlaus, gut, ich werde nicht kommen. Aber ich möchte dir gern etwas schenken. Du hast doch bestimmt mal Geburtstag. Was wünschst du dir? Eichhorn!"
Die Blattlaus hockte sich in eine Zimmerecke unter ihren Stuhl. Mit wirren Haaren und fast violett vor Verlegenheit las sie den Brief immer wieder. Vielleicht findet er mich doch nicht seltsam, dachte sie. Und sofort danach dachte sie: Aber er hat mich ja noch nie gesehen! Ich muß ihn etwas fragen. Unbedingt. Sonst steht er vor meiner Tür und ruft: "Schäm dich! Schäm dich!" Genau so lange, bis ich mich in mich verkrochen habe. An diesem Abend lief sie in ihrem dunklen Zimmer hin und her. Ach, wie schlimm ist es doch, ich selbst zu sein, dachte sie. Erst spät am Abend schrieb sie Eichhorn einen Antwort:
"Lieber Eichhorn, ich möchte gern den Duft von Honig. Aber nur den Duft. Blattlaus"
Am nächsten Morgen wachte sie früh auf und war schon bereit, sich wie jeden Morgen für sich selbst zu schämen, als plötzlich der Duft von Honig durch ihren Schornstein hereindrang. Da wurde sie rot und Wellen von Scham schlugen über ihr zusammen. Aber es war eine andere Art Scham als die übliche an normalen Tagen. Seltsam, dachte sie. Was ist das bloß für eine Scham? Mit geschlossenen Augen sog sie vorsichtig den Duft von Honig ein und staunte über sich selbst.
(Aus: Briefe vom Eichhorn an die Ameise, T. Tellegen)