Frank Farrelly

Frank Farrelly
Frank Farrelly (1931-2013) bei einem Workshop
Frank Farrelly habe ich bei einem Workshop 2003 in Köln zum erstenmal persönlich kennen gelernt. Es war ein Workshop ganz ungewöhnlicher Art: Keine Vorträge, nur Live-Demonstrationen mit anschließenden Nachfragen. Das formale Setting war rigoros: Zu Beginn jedes Prozesses die Frage "Do we have a contract?" an die Teilnehmer*innen und wehe dem/der die dann noch mit Nachbarn sprach. Exakt 25 Minuten dauerte ein Prozess, dafür wurde ein 'Timer' bestellt.

Neben einander sitzend - ungewöhnlich nahe für klassische Settings - wurde dann ein Gespräch geführt, das von großer Leichtigkeit, überraschenden Themenwechseln und vielen  'unverschämt' wirkenden Kommentaren und Reaktionen geprägt war.
Nur: Die 'Klient*innen' schienen nichts zu verübeln, waren schlicht irritiert, höchst aufmerksam und aus ihren gewohnten Reaktionsmuster pro-voziert (wörtlich übersetzt: heraus-gerufen).
Aus methodischer Sicht: hochkonzentrierte Arbeit in großer Resonanz und mit viel Intuition von Frank für das "Thema unter den Themen". Eine Intuition, die im anderen Potentiale spürt, die ihm selbst vielleicht noch gar nicht bewusst sind.
In liebevoller Respektlosigkeit wird das Selbst- und Weltbild von Klient*innen humorvoll karrikiert. Jedes Lachen ist ein Lachen mit dem anderen, niemals über ihn. Man macht sich gemeinsam lustig über die Sackgassen, die bedrücken.
Besonders bemerkenswert schien mir bei Frank der wunderbare Rapport oder gute Kontakt, in dem er sich mit seinen Gesprächspartner*innen befand: immer war es eine vertrauensvolle, von wechselseitig-empathischer Aufmerksamkeit getragene Begegnung.
Dazu gehörte immer auch der körperliche Kontakt, der durch das nahe Beisammen-Sitzen möglich war.

Leider hat der Begriff Provokation für die meisten einen negativen Beigeschmack. Im ursprünglichen, lateinischen Wortsinn bedeutet er aber: etwas heraus- oder hervorrufen.
Man könnte auch von der Kunst der Mäeutik oder sokratischen Hebammenkunst sprechen:
Hilfreich dabei sein, dass das, was im anderen an Leben verborgen ist, das Licht der Welt erblickt.
(vgl hierzu meinen 'Baustein' Mäeutik)
  • Farrelly-Faktoren

    I.  Durchgängige Verhaltensweisen

    • Beibehalten von Augenkontakt und physischem Kontakt (Berührungen).
    • Die Aufmerksamkeit ist vollkommen auf den Klienten fixiert.
Äußere Stimuli werden ignoriert bzw. ausgeschaltet.
    • Sprache geschieht in einem scherzenden, neckenden Ton.
    • Dem Klienten nicht mit eigenen Lösungen oder Anweisungen helfen.
    • Spiegeln oder sich anpassen an die nonverbalen Verhaltensweisen des Klienten
(Körperhaltung, Ton/Tempo, Gesten).
    • Häufiges Unterbrechen der Gedankengänge des Klienten mit flotten Sprüchen.
    • Präsentation kurzer Metaphern, Zitate, Anekdoten und Sprichworte.
    • Präsentation allgemeiner Wahrheiten auf eine kongruente, bedeutungsvolle Art

    II.  Bedingte Verhaltensweisen 

    • Wenn der Klient nur geringe emotionale Hingabe zeigt, dann variiere dein eigenes Verhalten solange, bis er starke non-verbale Reaktionen hervorbringt.
    • Wenn der Klient sehr starke non-verbale Reaktionen zeigt, dann passe dich in deinen eigenen non-verbalen Verhaltensweisen sehr nahe daran an und/oder beschreibe die non-verbalen Reaktionen des Klienten und/oder bitte den Klienten, seine Gefühle und Gedanken zu spezifizieren.
    • Wenn der Klient seine Sätze nicht beendet oder vage Statements von sich gibt, dann frage nach Spezifikationen.
    • Wenn der Klient in einem verwirrten, erwartenden oder in einem Trancezustand ist, dann verwende allgemeine Wahrheiten mit einer langsamen und betonten Sprechweise

    III.  Provokative Werkzeuge


    Reaktion auf Problemzustände

    • Ermutige problematische Verhaltensweisen, Gedankenmuster und Stimmungen und beschreibe absurde Vorteile.
    • Gebe absurde Erklärungen ab und schlage absurde Lösungen vor

    Reaktionen auf Statements zum Selbstkonzept

    • Übertreibe kulturelle Stereotypien.
    • Übertreibe das wahrgenommene negative Selbstkonzept oder Körperbild.

    Reaktionen auf positive Statements

    • Beklage, dass der Klient sich nicht ändern kann. Verneine oder bedauere den Fortschritt.
    • Untergrabe oder unterminiere günstige Rückmeldungen.

    IV.  Der internale Prozess des Therapeuten

    • Beibehalten eines warmen, verstehenden Gefühlszustandes dem Klienten gegenüber.
    • Beobachte lebhaft die wechselnden Bilder, die hinter oder neben dem Klienten auftauchen.
    • Stell dir weise Personen vor, die hinter dir stehen, höre, was sie zu sagen haben.
    • Beobachte den Klienten und höre ihm genau zu. 
Sage dir innerlich eigene Worte, um deine Erfahrung des Klienten und seiner Situation zu betiteln und zu bezeichnen.
Benutze diese Worte, um assoziierte Bilder zu finden. Sprich über diese Bilder.
    • Beobachte und höre den Erfahrungen der Leute zu und formuliere allgemeine Wahrheiten über Lebensumstände, soziale Situationen, Beziehungen, Sex, den Bedeutungen des Lebens, Elternschaft usw., d. h. über das System, in dem wir leben (schlichtweg: erstelle dein persönliches männlich/weibliches Stammeswissen).

    V.  Strategische Muster

    • Blaming (anklagen) des Klienten oder des Systems (wenn der Klient das System anklagt).
    • Wähle eine Seite eines Konfliktes. Übertreibe die Vorteile und Rechtfertigungen. 
Stelle fest, dass die Nachteile ein Lebensfaktum darstellen, mit dem der Klient halt zu leben hat. Oder schlage absurde Lösungen dieser Nachteile vor. 
Wenn der Klient zu protestieren beginnt, lege ihm nahe, dass er sich nicht ändern kann.
    • Handle immer verrückter als der Klient.


    Jaap Hollander (2000) - Essentials of Provocative Therapy (Link zur Website)


    Download dieser Auswahl


  • 12 Elemente provokativer Kommunikation

    Die 12 Elemente

    der provokativen Kommunikation:

    • Voraussetzung für provokative Interventionen: „Ich mag den Klienten.“
    • Einstieg in das Weltbild des Anderen: Absurd verstärken, dass es genau richtig ist, so zu denken. Das Gegenteil ist aber auch richtig.
    • Sich für das Symptom regelrecht begeistern.
    • Szenen und Bilder genüsslich ausmalen und Mimik und Stimme zum Übertreiben nutzen.
    • Die Gedankengänge übertreiben und kabarettmäßig überzeichnen.
    • Stereotypisieren, Verallgemeinern, allgemeine Wahrheiten aussprechen (Witze, Vorurteile, Schwarz-Weiß-Denken, „Klugscheißen“ nutzen).
    • Aussprechen/Konfrontieren der versteckten inneren Wahrheiten (Befürchtungen, Tabus, negativste Gedanken, Geheimnisse).
    • Durch Geschichten und Metaphern Trancezustände erreichen.
    • Sich dumm stellen, den Klienten absichtlich zweideutig missverstehen.
    • Als Coach mehr reden als der Klient. Auch nicht zuhören und eigene Wege verfolgen.
    • Keine Ratschläge geben, höchstens absurde.
    • Nichts erklären.

    Bei pro-vocativen Interventionen geht es um das Hervorrufen und Hervorlocken neuer, ungewöhnlicher, noch nicht genutzter Verhaltensweisen. Wir nennen diese Interventionen pro-vocativ, um an die lateinische Wurzel pro-vocare = „hervorrufen“ zu erinnern ...


    Der Klient wird liebevoll, herausfordernd mit dem „Unsinn, den er denkt und tut“, konfrontiert. Pro-vocative Sequenzen im Coaching sind kraftvolle, Energie bringende Kurzinterventionen, aber leider nicht in Gänze auf einer Karte zu erklären.


    Aus: Schmidt-Tanger, Martina / Stahl, Thies: Change-Talk, Paderborn 2005, S. 263



Das folgende Video wurde beim Kongress "Reden reicht nicht!?" 2016 in Heidelberg aufgenommen.
Ich empfehle, es sich vor der Live-Demonstration weiter unten anzuschauen. Der provokative Ansatz
ist für "klassisches" Empfinden so neu und ungewöhnlich, dass die Erläuterungen von Charlotte Höfner und ihrer Tochter Eleonore hilfreich zum Verständnis sind.


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